Neue Wege auf dem Weg zu mehr Naturwissenschaftlerinnen und Ingenieurinnen?

03.03.2010

Mit dem Wettbewerb „Nachhaltige Hochschulstrategien für mehr MINT-Absolventen“ wollen der Stifterverband der deutschen Wissenschaft und die Heinz Nixdorf Stiftung den Hochschulnachwuchs in den Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik fördern. 61 Universitäten und Fachhochschulen hatten sich beteiligt. Sechs Projekte wurden ausgewählt, deren Umsetzung jeweils mit bis zu 300.000 Euro unterstützt wird. Bei ihrer Entscheidung berücksichtigte die Jury auch, ob und inwiefern die Strategien geeignet sind, um mehr Frauen für technische und naturwissenschaftliche Berufe zu begeistern. Drei Partner des nationalen Paktes „Komm mach MINT!“ gehörten zu den Gewinnern der Ausschreibung.

17. Februar 2009, Centre Monbijou in Berlin-Mitte. Um kurz nach neun Uhr morgens treffen die ersten Finalisten in der Tagungsstätte ein – allesamt Expertinnen und Experten aus einem der so genannten MINT-Bereiche Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Viele Hochschulprofessoren sind darunter. Aber auch einige Professorinnen, wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Studierende sowie zwei Schülerinnen mit einem Fable für Robotik. Die Gespräche an den Stehtischen im Foyer: Wie stehen unsere Chancen im Wettbewerb? Welche Aspekte sollten wir in der Präsentation betonen? Wie stark ist die Konkurrenz?

Für die Anwesenden ging es an diesem Tag um viel: Insgesamt 1,6 Millionen Euro hatten der Stifterverband der deutschen Wissenschaft und die Heinz Nixdorf Stiftung für „Nachhaltige Hochschulstrategien für mehr MINT-Absolventen“ ausgelobt. Die Vertreterinnen und Vertreter jener zwölf Hochschulinitiativen, die der Jury ihr Projekt vorstellen würden, hatten es in die engere Auswahl geschafft. Die Entscheidung fiel wenige Stunden nach der letzten Präsentation: Die zwölfköpfige Expertenkommission wählte sechs Konzepte aus, die das Ziel verfolgen, die Zahl der Absolventinnen und Absolventen in den entsprechenden Fächern zu steigern. Zu den Gewinnerhochschulen zählten auch Partner von „Komm, mach MINT. – Nationaler Pakt für Frauen in MINT-Berufen!“, die Technische Universität Berlin, die Ruhr-Universität Bochum und die Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg.

Mit dem Förderprogramm antworten die Initiatoren auf eine Entwicklung, die Gefahren für den Forschungs- und Innovationsstandort Deutschland birgt: Der Strukturwandel hin zu einer forschungs- und wissensintensiveren Wirtschaft und Gesellschaft steigert den Bedarf an hochqualifizierten MINT-Fachkräften. Gleichzeitig erfordert der demografische Wandel einen hohen Ersatzbedarf für die in den Ruhestand gehende Generation. Um eine strukturelle Fachkräftelücke zu verhindern, sollen die Hochschulen ermutigt werden, fächerübergreifend Beratungs- und Betreuungsangebote, Lehre, Prüfungskonzepte sowie die Infrastruktur in den MINT-Studiengängen zu verbessern – um mehr Studienanfängerinnen und Studienanfänger zu gewinnen und die Abbruchquoten zu senken.

Gezielte Ansprache von Frauen
Dazu gehören auch Maßnahmen, die mehr Frauen für diese Studiengänge begeistern. Denn während insgesamt die Hälfte der Studierenden an deutschen Universitäten weiblich ist, beträgt der Frauenanteil in den MIN-Fächern nur ein Drittel, in den technischen Fächern sogar nur ein Fünftel. „Wir müssen Mädchen und jungen Frauen signalisieren, dass sie in technischen und naturwissenschaftlichen Fächern willkommen sind. Gleichzeitig brauchen sie Anstöße sich untereinander zu vernetzen, um sich gegenseitig den Rücken stärken zu können“, betonte Dr. Helga Lukoschat, die als Geschäftsführerin die Femtec. Hochschulkarrierezentrum für Frauen Berlin GmbH in der Jury vertrat.

TU Berlin setzt auf Imagewandel technischer Berufe
Dieses Ziel verfolgt auch die Technische Universität Berlin. Sie überzeugte die Jury mit dem Projekt TU MINT – Strategien zur Nachwuchsförderung an der TU Berlin. „Wir wollen stereotype Sichtweisen aufbrechen, attraktive Vorbilder schaffen und somit eine der Hürden abbauen, die insbesondere junge Frauen daran hindert, sich für ein MINT-Studium zu entscheiden“, erläuterte Prof. Dr. Jörg Steinbach, erster Vizepräsident der TU Berlin.
Die Verantwortlichen setzen dabei auf drei Ebenen an: gesamtgesellschaftlich, in den Schulen sowie bei den einzelnen Schülerinnen. So soll etwa das bereits erprobte Pilotprojekt Girls, Education and Technology, kurz GET-IT, ausgebaut werden. Hier können Schülerinnen in Workshops und Vorlesungen in das Ingenieurs- und das Informatikstudium hineinschnuppern. Bei Unternehmensführungen haben sie Gelegenheit, den Berufsalltag von Ingenieurinnen und Informatikerinnen kennenzulernen. „In den Schulen werden ingenieurtechnische Berufsbilder oft gar nicht vermittelt. Deshalb möchten wir jungen Frauen zeigen, wie spannend technische Berufe sein können“, so Steinbach.

Mediale Rollenbilder verändern
Besonders innovativ ist die Idee der TU, den Education-Entertainment-Ansatz auf den MINT-Bereich zu übertragen. Es gehe darum, tradierte Rollenbilder in Fiction-Formaten wie Daily Soaps neu zu besetzen, sagte Steinbach: „Viele Jugendliche orientieren sich bei der Berufswahl an den Medien. Deshalb wollen wir das mediale Image des ölverschmierten Ingenieursberufs ändern, um ihn auch für Mädchen attraktiver zu machen.“ Einen Teil der Förderung wollen die Projektbeteiligten einsetzen, um in Zusammenarbeit mit internationalen Netzwerkpartnern wie der BBC eigene Fiction-Formate zu produzieren. „Wir denken an Spielfilme ebenso wie an Youtube-Videos. Letztere können wir schließlich auch in das geplante Webportal einbauen, mit dem wir gezielt Lehrer, Eltern und Schüler über unsere MINT-Studiengänge informieren wollen“, so Steinbach.

Mathematik intensiv plus Praxis
Die Ruhr-Universität Bochum hingegen war mit einem Angebot für Studienanfängerinnen und Studienanfänger ins Rennen gegangen. Ihr Konzept MP²-Mathe/Plus/Praxis – Nachhaltigkeit im Studienerfolg greift einen kritischen Punkt auf: Ob ingenieurs- oder naturwissenschaftliches Studium
– Mathematik ist meist ein Knackpunkt in den ersten Semestern. Erfolg oder Misserfolg in diesem Fach entscheiden oft darüber, ob ein Studium zu abgeschlossen oder abgebrochen wird.

Im Projekt „Mathe1Plus“ sollen sich Studierende im ersten Semester deshalb in Kleingruppen auf Mathematiktutorien vorbereiten und Lernstrategien sowie Selbstorganisation trainieren können. Zielgruppe sind jene, die im Zwischentest unterdurchschnittlich abgeschnitten haben und nun ihre Lerntechniken verbessern wollen. Parallel dazu soll das Projekt „Mathe2Praxis“ für Studierende im zweiten Semester die Motivation unter anderem durch forschendes Lernen und ein studienbegleitendes Praxisprojekt gestärkt werde.
Das Konzept richtet sich an männliche und weibliche Studierende. Im Fach Mathematik bräuchten lernschwächere Studenten und Studentinnen gleichermaßen intensive Betreuung, so Prof. Dr. Uta Wilkens, Prorektorin für Lehre, auf Nachfrage der Jury. Geschlechtsspezifische Lernunterschiede seien in diesem Bereich nicht festgestellt worden.

Hamburgweite Kooperation für mehr MINT-Nachwuchs
Die Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg hatte sich im Rahmen des Verbundantrags NaT – Wir schmieden eine Bildungskette für Hamburg! am Wettbewerb beteiligt. Gemeinsam mit der HafenCity Universität, der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr, der Universität Hamburg und der Technischen Universität Hamburg-Harburg wollen die Beteiligten Naturwissenschaften und Technik für Schülerinnen und Schüler attraktiver machen: Um mehr Praxis in den Unterricht zu bringen, sollen Professoren, Ingenieure aus Unternehmen und Lehrer künftig gemeinsam Aufgabenstellungen und Unterrichtsmodule entwickeln. Lehrerinnen und Lehrer sollen in einem Technik-Workshop Kompetenz erwerben, während Schülerinnen und Schüler konkrete MINT-Berufsbilder in Vortragsreihen vermittelt bekommen.

Anfassen, ausprobieren, hinterfragen
Auch wenn nur einige der präsentierten Hochschulstrategien sich gezielt an den weiblichen Nachwuchs richten, erhofft sich Jury-Mitglied Wolfgang Gollub vor allem dann positive Signale für Mädchen und junge Frauen, wenn sie Technik praktisch ausprobieren und anwenden können. Der Leiter der Nachwuchssicherung/THINK ING. beim Arbeitgeberverband Gesamtmetall, ebenfalls Partner von „Komm, mach MINT.“, sagte: „Mädchen haben oft eine andere Herangehensweise an Technik als Jungs. Statt sich zu fragen, wie ein Gerät funktioniert, möchten sie eher wissen, wozu es dient und welchen Nutzen es bringt.“

Sein Fazit des Wettbewerbs: „Es gibt keinen Königsweg, die Absolventinnen- und Absolventenquote zu steigern oder eben gezielt Mädchen anzusprechen.“ Vielmehr habe die Jury mit der Auswahl der zu fördernden Konzepte deutlich machen wollen, wie groß die Vielfalt innovativer Ideen an den deutschen Hochschulen sei, um Interesse für Natur- und Technikwissenschaften zu wecken und Studierende zum erfolgreichen Abschluss zu führen.

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