Nina
Verfahrenstechnik
Nina hat Verfahrenstechnik an der Universität Stuttgart studiert, sich im Bereich der Kunststoffe spezialisiert und anschließend in diesem Bereich auch promoviert. Vor Kurzem hat sie sich mit der Entwicklung neuer Kunststoffprodukte selbstständig gemacht.
Was hat Sie dazu bewogen, dieses Studium zu realisieren?
Ich hatte meine Leistungskurse in Chemie und Physik. Beides hat mir viel Spaß gemacht. Im Physikkurs war ich das einzige Mädchen, aber die Akzeptanz war trotzdem sehr groß. Auch meine Eltern haben mich unterstützt, dass ich doch im MINT-Bereich studieren solle.
Ich habe dann Veranstaltungen des BIZ (Berufsinformationszentrum der Agentur für Arbeit) besucht und bin da auf die Verfahrenstechnik gestoßen. Mir hat das sofort gefallen, weil es so toll interdisziplinär ist. Außerdem habe ich an der Uni einen Tag der offenen Tür besucht und festgestellt, dass mich die Ingenieurswissenschaften mehr interessieren als die reinen Naturwissenschaften.
Hatten Sie vor oder während des Studiums bereits praktische Erfahrungen?
Nach der Schule brauchte ich erst mal eine Auszeit und war Au-Pair in den USA. Dort hätte ich für einen Unikurs für 2 Semesterwochenstunden damals $2000 bezahlen müssen. Da habe ich erst verstanden, was für ein Privileg wir in Deutschland haben, relativ kostengünstig studieren zu können.
Im 5. Semester habe ich eine Stelle als wissenschaftliche Hilfskraft angenommen. Das war an dem Kunststoffinstitut, an dem ich mich später auch vertieft habe. In den Ingenieurswissenschaften sind solche Jobs verhältnismäßig einfach zu bekommen. Pro Stunde verdient man nicht so viel wie beim Kellnern, aber man lernt viel über die verschiedenen Forschungsgebiete. Das Studium ist anfangs sehr theoretisch, der Job hat mir geholfen, zu verstehen, warum man das alles lernen muss.
Während der Promotion hatte ich dann gleichzeitig eine volle Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin. In den Ingenieurswissenschaften ist das nicht unüblich. Ohne eine Einnahmequelle hätte ich nicht promoviert.
Waren Sie in bestimmte Netzwerke oder Hochschulprogramme integriert und wenn ja, wie wurden Sie durch diese unterstützt?
Ich habe in der Studienzeit ganz viel mitgemacht. Das Tolle ist, dass es ganz viele Möglichkeiten gibt. Mein Schwerpunkt war damals die Mitarbeit im ökumenischen Zentrum (Studierendengemeinde). Wir hatten da ganz viele Begegnungen: Interreligiös, interkulturell und teilweise auch politisch. Für mich war das eine gute Ergänzung zum technischen Studium. Es hat mir in so fern auch geholfen, dass ich dort sehr kostengünstig wohnen konnte. Ich hatte ein knappes Budget und das hat wirklich geholfen.
Ein weiteres Highlight war, dass ich meine Diplomarbeit im Rahmen des ERASMUS-Programms in den Niederlanden machen konnte. Das war noch mal eine neue Erfahrung, weil man dort an den Unis noch mal anders arbeitet als in Deutschland.
Wo und in welcher Position arbeiten Sie?
Ich arbeite an der Entwicklung neuer Kunststoffprodukte. Bis Ende 2020 war ich 15 Jahre lang Leiterin der Entwicklungsabteilung eines mittelständischen Unternehmens (100 Mitarbeitende). 2021 habe ich den Sprung gewagt und mich mit dieser Tätigkeit selbstständig gemacht.
Wie sieht Ihr typischer Arbeitsalltag aus?
Der ist sehr vielseitig und deswegen liebe ich meinen Beruf. Viele denken, dass man den ganzen Tag nur kreativ ist oder Prototypen baut, aber tatsächlich ist das nur eine Facette. Ein wesentlich wichtigerer Aspekt ist detaillierte Planung und Projektmanagement. Wenn man den Fokus verliert, dann kommt man nicht an ein Ziel.
Ganz viel ist auch saubere (nachvollziehbare) Dokumentation und Kommunikation und Zusammenarbeit mit den Kundinnen und Kunden und potentiellen Lieferantinnen und Lieferanten gehört auch dazu. Man darf bei einer Entwicklung keinen Aspekt aus dem Auge verlieren, es geht schließlich darum, dass das neue Produkt nicht nur ansprechend ist, sondern es muss auch zum richtigen Preis mit den angestrebten Eigenschaften reproduzierbar zu fertigen sein.
Welche besonderen Vorkenntnisse, Fähigkeiten und Interessen braucht man für Ihren Beruf?
Es ist schon wichtig, dass man in der Schule die MINT-Fächer mag. Gerade am Anfang hat man hauptsächlich Fächer, die das Wissen im Bereich Mathe, Physik & Chemie vertiefen. Und dieses Wissen nutzt man dann auch im beruflichen Alltag. Wichtig ist aber auch, neugierig zu bleiben. Gerade in der Produktentwicklung darf man sich neuen Impulsen nicht verschließen.
Was fasziniert Sie an Ihrer Tätigkeit am meisten?
Es ist ein tolles Gefühl, wenn man einen großen Projektmeilenstein erreicht und beispielsweise einen ersten funktionalen Prototypen in den Händen hält oder die erfolgreiche Erstabmusterung für eine neue Produktionsmethode begleitet. Da hat man oft monatelang intensiv drauf zugearbeitet und es steckt viel Herzblut drin. Solche Momente belohnen einen ebenfalls für all die Rückschläge, die es im Entwicklungsbereich natürlich auch gibt.
Wie ist Ihre Erfahrung in einem MINT-Beruf?
Ich habe echte Hochachtung vor Frauen, die eine führende Rolle in der Wirtschaft mit einer Familie vereint bekommen. Für mich hat das nicht funktioniert und ich habe mich bewusst für den Beruf entschieden. Ich habe diese Entscheidung nicht bereut.
Work-Life-Balance ist für mich ein schwieriges Konzept. Ich habe viele Menschen kennengelernt, die ihren Job im Wesentlichen wegen des Geldes machen. Für mich war die Arbeit immer mehr, deswegen hat es mir nie etwas ausgemacht, viel zu arbeiten. Man darf sich darüber nicht selbst vergessen und da hilft mir ein liebevoller Partner, der kein Problem mit einer starken Frau hat.
Ich habe festgestellt, dass ich sehr gerne mit Männern zusammenarbeite. Im Arbeitsalltag hat es mir oft sogar geholfen, kein Teil der "Hahnenkämpfe" zu sein. Als Entwicklungsleiterin hatte ich nie ein Problem in der Anerkennung durch die männlichen Kollegen.
Die "gläserne Decke" begann dann allerdings als ich mich vom Fachlichen weg stärker in das Management orientieren wollte. Die Gründe sind aus meiner Sicht aber mehrdimensional, denn ich bin in meiner Art auch sonst eher unangepasst. Ich finde es dann zu einfach, es immer nur auf das Gender-Thema zu schieben, selbst wenn es eine Rolle mitspielen kann.
Welche beruflichen Ziele haben Sie?
Ich habe mich in die Selbstständigkeit begeben, um unabhängiger zu sein. Die Welt steht vor sehr großen Herausforderungen, deswegen habe ich das Interesse, meinen Beitrag zu leisten. Das heißt, ich kann mir jetzt stärker aussuchen, was ich mache. Mein bisheriger beruflicher Werdegang hat mir die finanzielle Flexibilität dazu gegeben. So möchte ich beispielsweise stärker im Bereich nachhaltiger Produkte arbeiten, wo aus meiner Perspektive noch viel gemacht werden kann.
Welchen Rat würden Sie einer Schülerin mit auf den Weg geben, die überlegt, ob sie ein MINT-Fach studieren soll?
Nicht jeder Tag ist einfach und MINT kann man meines Erachtens nicht halbherzig machen. Wenn man dazu bereit ist, dann sind das aber wirklich tolle und vielfältige Berufe.