Sonja

Mathematik

Porträt Sonja Föhst

Ärzte aus Mainz wollen wissen, wie sich kapillare Blutgefäße umorganisieren, wenn ein Organ vernarbt. Dafür brauchen sie die Mathematikerin Sonja Föhst, die Veränderungen mathematisch erfasst und beschreibt. Ihr gemeinsames Ziel ist die Entwicklung neuer Behandlungsmethoden, etwa gegen Lungenkrebs oder Leberzirrhose. Wir haben Sonja gefragt, wie sie zu diesem Thema kam, was ihr durch schwierige Phasen im Studium half und wie sie Kind und Promotion unter einen Hut bringt.

Wie kommt man als Diplom-Mathematikerin dazu, mit Medizinern zusammenzuarbeiten?

Ich wollte immer etwas Sinnvolles mit Mathematik machen, deshalb hat mich das Thema sofort angesprochen.

Wo haben Sie studiert und warum?

Weil ich schon in jungen Jahren knifflige Rätsel mochte, schrieb ich mich für Mathematik an der Technischen Universität in Kaiserslautern ein. Die Hochschule hat einen guten Ruf in den Rankings und sie liegt keine 100 Kilometer von meiner Heimatstadt Idar-Oberstein entfernt.

Fiel Ihnen das Studium leicht?

Nicht immer. Im Mathe-Vorkurs war der ganze Hörsaal noch voller Studierender aus den verschiedensten Fächern und wir haben zusammen den Stoff aus der Schule wiederholt. Auf einmal hieß es, die Mathe-Studenten sollten aufstehen und mitkommen – das war nur eine ganz kleine Gruppe. Darunter fanden sich ein paar echte Cracks, für die es neben der Mathematik wenig anderes im Leben gab. Aber ich ließ mich nicht einschüchtern. So bin ich nicht. Ich habe auch noch andere Interessen und Hobbys, und ich musste das auf meine Art machen.

Was gefiel ihnen am Mathe-Studium?

Ich mochte gerade das Allgemeine sehr. Der Taschenrechner blieb während des Studiums in der Schublade. Dafür haben wir gelernt, Probleme zu formulieren und anschließend zu lösen. Die AG Optimierung sollte zum Beispiel mal herausfinden, wie man ein Stadion möglichst schnell evakuieren kann – solche Aufgaben finde ich faszinierend!

Welche Vorlesungen mochten Sie am liebsten?

"Mathematische Bildverarbeitung", weil dort komplexe Mathematik anschaulich wird, indem man sie auf praktische Probleme anwendet – zum Beispiel eben bei der Erfassung komplizierter Strukturen auf Bildaufnahmen. Meine Diplom-Arbeit schrieb ich bei einer Professorin, die nebenbei beratend für die Abteilung "Bildverarbeitung" am Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM tätig war. Ich habe einfach mal abgeklopft, ob es dort noch weitere interessante Themen in diesem Bereich gibt. Und als sich 2012 die Möglichkeit ergab, über "Kapillare Gefäßstrukturen" zu promovieren, schlug ich sofort zu.

Worum geht es in Ihrer heutigen Arbeit?

Wenn Organe wie Lunge oder Leber vernarben, werden sie immer schlechter mit Sauerstoff versorgt. Zwar organisieren sich die Blutgefäße noch eine Zeit lang um, doch irgendwann schaffen sie das nicht mehr und das Organ übt seine Funktion nur noch eingeschränkt aus. Diese Vernarbung lässt sich nicht rückgängig machen. Es sei denn, jemand findet heraus, wie die zugehörigen Prozesse genau ablaufen. Dann ließe sich vielleicht eine Therapie ableiten, mit der sich die Vernarbung verlangsamen oder sogar verhindern ließe.

Was ist dabei Ihre konkrete Aufgabe?

Ich entwickle am Fraunhofer ITWM in Kaiserslautern Algorithmen, die die Struktur des Gefäßsystems erfassen und beschreiben, damit sich auf Basis dieser Erkenntnisse neue Behandlungsmethoden gestalten lassen. Im Augenblick konzentriere ich mich auf Strukturen in Leber und Lunge, die Algorithmen lassen sich jedoch beliebig übertragen.

Was gefällt Ihnen am besten an Ihrer Tätigkeit?

Ich finde Fraunhofer auch deshalb spannend, weil sich die Themen hier von Projekt zu Projekt ändern können, je nach Projektpartner. Wäre ich in den Automobil-, Banken- oder Versicherungssektor gegangen, ginge es immer nur um ein Thema. Tatsächlich bin ich aktuell die Einzige in meiner Abteilung, die ein medizinisches Thema bearbeitet. Meine Kolleginnen und Kollegen erforschen zum Beispiel Faserverbund-Werkstoffe, Industrieschäume oder Schwämme. Bei allen sind die Strukturen sehr komplex, wie bei kapillaren Gefäßstrukturen – deshalb haben wir die Aufgabe übernommen. So kann ich mich auch mit den Kollegen wunderbar austauschen. Wenn mir mal gar nichts mehr einfällt, dann gehe ich auf den Flur, hole mir einen Kaffee und suche mir jemanden, mit dem ich drüber reden kann – dabei kommt immer eine Idee.

Sie wurden während Ihrer Promotionszeit Mutter einer Tochter. Wie organisieren sie das?

Meine Chefs haben sich sehr mit mir gefreut. Bis kurz vor der Geburt ging ich täglich ins Institut, danach nahm ich ein Jahr Elternzeit und kam nur hin und wieder zu einer Besprechung. Seit einem Jahr geht die Kleine in die Kita und ich promoviere weiter auf einer 60-Prozent-Stelle. Das funktioniert gut. Unserer Tochter gefällt es und wir sind froh. Für mich ist das Kind ein toller Ausgleich zum vielen Nachdenken bei der Arbeit. Wenn ich zwischendurch spiele und lache, tut mir das gut. Im März will ich meine Doktorarbeit abgeben und wenn möglich am Fraunhofer ITWM bleiben – weil es mir da gefällt und weil ich dort Kind und Job gut miteinander vereinbaren kann.

Haben Sie einen Rat für Schülerinnen, die gerade über ein Mathe-Studium nachdenken?

Macht es einfach. Man kann sich endlos beraten lassen und Infoveranstaltungen besuchen – am Ende kann nichts davon wiedergeben, wie es wirklich ist. Gebt euch zwei oder drei Semester Zeit. Das ist keine verlorene Zeit, denn selbst, wenn ihr wechselt, könnt ihr euch die Mathe-Scheine in vielen anderen Fächern anrechnen lassen.

Interview: Ines Bruckschen

Bild: privat

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